MICHAEL FISCHER SYMPOSION 2015
Die Erweiterung der Europäischen Union von den Küsten
aus betrachtet – Die andere(n) Seite(n) des Meeres.

Unter der Schirmherrschaft von EU-Kommissar Johannes Hahn


I„In einer Zeit, in der die Idee und Identität Europas wieder heftig diskutiert wird, müssen wir an all die Konzepte anknüpfen, die es ermöglichen, Europa neu zu denken, um es fester zu fügen. Neu bedeutet in diesem Sinn stets die Dialektik von Herkunft und Zukunft, die Kreativität von Widersprüchen und Synergien.“
(Michael Fischer)

Ort der Begegnung
Nach dem Symposion „Europa NEU denken III“ 2014 in Piran ist die diesjährige Tagung in Dubrovnik die erste, die dem Gründer dieser Reihe, Univ. Prof. DDr. Michael Fischer, gewidmet ist. Das Symposion in Piran trug noch seine wissenschaftliche Handschrift, auch wenn er es nicht mehr begleiten konnte. 2014 war auch das Jahr, das den Beginn der neuen EU-Strategie für die adriatischionische Makroregion darstellte, dazu leistete das Symposion einen wertvollen Beitrag, der auch die Debatte in einem größeren Kontext weiterentwickelte und fortführte. Der Band zum Symposion in Piran ist Ende Mai erschienen.

Die Ausleuchtung des Kulturraums Adria mit all seinen Widersprüchlichkeiten wollen wir mit dem Symposion 2015 in Dubrovnik weiterführen und vertiefen. Das Ziel der von Michael Fischer mit Kommissar Johannes Hahn begründeten Symposion-Reihe war von Beginn an die Aufschließung eines Europas des Geistes, der Kulturen und der verschiedenen Möglichkeiten. Die Orte der Begegnung waren stets Zellen der Zusammengehörigkeit für WissenschaftlerInnen, AutorInnen und StudentInnen unterschiedlichster Fachgebiete. Durch das gemeinsame Austauschen, Erleben und Diskutieren wurden fruchtbare Debatten angeregt, die in den Symposion-Bänden ausführlich dokumentiert sind, die aber auch in einer sich verselbstständigten Form untereinander weitergeführt werden.

Europa von seinen Küsten neu denken
Region, Innovation und Kulturalität standen im Zentrum der ersten Ausgabe des Symposions „Europa NEU denken“, das 2012 in Triest stattfand. 2013 wurde die Bedeutung der Regionen als Zivilisationskulturen (ebenfalls in Triest) diskutiert und im Vorjahr wurde in Piran der „Mentalitätsgeschichte der Adria“ nachgespürt. Mit der vierten Ausgabe des Symposions „Europa NEU denken“ begeben wir uns weiter südwärts. Nach Stationen in Triest und Piran wurde Dubrovnik als Tagungsort gewählt. Dubrovnik ist die südlichste Stadt Dalmatiens und wird im Osten von Bosnien und Herzegowina, im Süden von Montenegro und im Westen von der Adria begrenzt. Dubrovnik ist damit der ideale Ausgangspunkt, um die „andere Seite“ zu erkunden.

Als einstige freie Handelsrepublik pflegte Dubrovnik ausgezeichnete Beziehungen mit der Hohen Pforte. Der gute Ruf der Diplomaten von Dubrovnik, die auf einer schmalen Schnittstelle zwischen der christlichen und islamischen Welt agierten und sich zwischen den katholischen und orthodoxen Christen bewegten – und in deren Stadt die zweitälteste Synagoge Europas (nach Prag) steht –, war bis nach England gedrungen, so dass Ragusa (die lateinische Bezeichnung für Dubrovnik) auch im Werk von Shakespeare ein Begriff ist. Die Tradition des respektvollen Umgangs mit verschiedenen Religionen und Konfessionen, politischen Systemen, Sprachen und Bräuchen, die die Grundlage des Wohlstands der kleinen Dogenrepublik war, macht Dubrovnik zum idealen Ort eines neuen Denkens über Europa.

Mit der Betrachtung der anderen Seite(n) des Meeres wird zum einen die Metaphysik des Maritimen abgetastet, zugleich aber auch ein großer Schritt in Richtung Außengrenzen der Europäischen Union unternommen. Deutlich sichtbar wird die Grenzproblematik etwa am Neum-Korridor, der – nur wenige Kilometer von Dubrovnik entfernt – das kroatische Staatsgebiet auf dem Festland in zwei Teile trennt und für Bosnien und Herzegowina den einzigen direkten Zugang zum Meer darstellt. Das „Meer“ steht also auch als Metapher für jene Ambivalenzen, die die Diskussionen um die ständige Neuerfindung der Europäischen Union begleiten: für Ängste und für Hoffnungen, für Grenzen und Entgrenzung, für die Furcht vor dem Fremden einerseits und unermessliche Vielfalt andererseits.

Hatte das Meer einen Anfang? Und wird es ein Ende haben? Wie kommt das Salz ins Meer? Warum wird es nicht voller, obwohl alle Wasser hineinlaufen?
Und ist das Meer stets schön? – Schon immer ist das Meer verbunden mit Faszination, aber auch mit der Angst vor seiner Urgewalt.

Weckt das Meer etwa Begehrlichkeiten, die nicht nur poetischer, sondern auch politischer Natur sind? Der letzte Krieg an der Adriaküste, bei dem auch Dubrovnik beschossen wurde, erschütterte in den Neunzigern des vergangenen Jahrhunderts die Region. Wie sieht es heute mit Versöhnung aus und ist der Tourismus die einzige Antwort auf die Notwendigkeit eines kulturellen und politischen Dialogs in dieser Region? Wie tief sind die Wunden in der stolzen Stadt, die einst eine große Konkurrenz zur Dogenrepublik Venedig darstellte und die erst unter Napoleon ihre Selbstständigkeit aufgeben musste? Wie verhält man sich heute in den Wissenschaften und Künsten in Kroatien, Bosnien und Herzegowina, Montenegro und Serbien zum Erbe, das die Republik von Dubrovnik hinterlassen hat? Kann man aus dem Vorbild der pragmatischen Toleranz der einstigen Dogenrepublik etwas für die Zukunft dieser Region lernen?

Mit der Aufklärung wird das Meer zum „Schauplatz der Freiheit“, die Klassik verleiht ihm eine Ästhetik des Erhabenen und die Romantik verklärt es als Farbe der Sehnsucht, der Unendlichkeit und der Poesie. Noch heute ist es ein Ort der Hoffnung, aber auch der Angst für die Menschen, die über das Meer in die Freiheit kommen möchten. Eines ist sicher: Das Meer lässt niemanden ungerührt.

Der Mensch beschäftigte sich seit dem Altertum mit dem Meer, mit sich selbst und mit Fragen nach dem Entstehen und Sein. Darauf wollen wir aufbauen und das Meer und seine Tiefen ergründen. Einmal im Laboratorium der Kunst und Literatur und als Hintergrund der Alltagskultur der Menschen, die rund um das Meer leben. Wir wollen es als Mittlerin der Entstehung menschlicher Kulturen erkennen und wir möchten es historisch und biologisch betrachten und seine Untiefen in unterschiedlicher Weise ausloten.

Das Meer ist ungeheuer, ungezähmt, unermesslich. „Diese unendliche Fläche“, schreibt Hegel in seiner „Philosophie der Geschichte“, „ist absolut weich, denn sie widersteht keinem Drucke, selbst dem Hauche nicht“. Das Meer ist, was ihm eingeschrieben wird und dann gleich wieder verschwindet. – Dabei hat Hegel das Meer nie gesehen.


 

Alida Bremer / Ilse Fischer / Margarethe Lasinger